Trotz aller Mühen: Das güldene Schlüsslein klemmt.
Trotz aller Mühen: Das güldene Schlüsslein klemmt.
Perlen vor die Säue und der Ochs steht hinterm Pflug.
Ich sah nicht wo es finster war im Licht.
Der Teich ward endlich sauber, doch die Wasserlilie starb,
die größte Gabe sah ich einfach nicht.
~ Grendel’s Sÿster – Güldenes Schlüsselein (klemmt)1
„Paris im Herbst; die letzten Monate des Jahres und das Ende des Jahrtausends. Die Stadt ist für mich mit vielen Erinnerungen verbunden: Erinnerungen an Cafés, an Musik, an Liebe … und Tod.“ So erinnert sich George Stobbard, der Protagonist des Point&Click-Adventures Baphomets Fluch und seines Zeichens amerikanischer Tourist, in den ersten Momenten des Spiels an seine Europareise. Im 1996er Original wird dieser Satz noch in die Dunkelheit eines Schwarzbildes gesprochen, in der 2024er Reforged-Version taucht bereits hier aus der Schwärze die Unscharfe Darstellung eines Wasserspeiers auf, die sich alsbald im Gegenschuss als der Blick einer Krähe entpuppt. Verfolgt von einem ausschweifenden Schwenk über die Dächer Paris’ fliegt der Vogel davon und findet schließlich George in einem Straßencafé, wo dieser seine Grand Tour mit einer Tasse Kaffee genießt. Aber nicht alles steht zum Besten in diesem mondänen Idyll: Georges Flirtversuche mit der schönen Kellnerin ersticken bereits im Keim, als diese von einem anderen Kunden abgelenkt wird. Das Tableau europäischen Flairs wird jäh zerstört, als ein Clown die Bühne betritt und das Café samt Kellnerin und Gästen mit einer in seinem Akkordeon versteckten Bombe in die Luft sprengt.
Nach einer furiosen Montage von bildschirmfüllenden Explosionen, in denen Kaffeefront, Körper und Markise zerrissen und davongefegt werden, sammelt sich George auf. Er streift den zerfledderten Sonnenschirm ab, der ihn vermeintlich vor der Explosion gerettet hat, klopft sich die Jackenärmel ab und sein innerer Monolog schließt in einer gebrochenen Zeitkonstruktion mit dem Modus der Reminiszenz ab: „Das Leben um mich herum geht weiter, aber die Explosion sollte mein Leben für immer verändern.“
Der zentrale Modus des Spiels ist und bleibt aber einer des melancholischen Erinnerns – auch und vor allem, wenn man das Nachleben der Erstveröffentlichung aus dem Herbst ‘96 betrachtet. Baphomets Fluch stellt zusammen mit dem auf Drängen des Publishers Virgin Interactive innerhalb nur eines Jahres entwickelten zweiten Teil (1997) und der ebenso 1997 erschienenen dritten Iteration der Monkey Island Reihe einerseits den Höhepunkt des Formentwicklung klassischen Point&Click-Adventures dar, markiert aber gleichzeitig den Beginn dessen rapiden Niedergangs. Schon 1998 versuchte Lucas Arts mit Grim Fandango das Adventure noch in den neuen und als zukunftsträchtig erachteten Polygon-Stil zu überführen. Zwar fand Grim Fandango Anklang bei der Kritik und gilt heute als eines der großen Lucas Arts Adventures – zum Zeitpunkt seines Erscheinens stellte es sich jedoch als kommerzieller Flop, und als harscher ästhetischer Bruch mit der Formentradition dar. Grim Fandango konnte so sein Publikum erst finden, als der Affront der neuen Bildlichkeit und die Trauer um die geliebte 2D-Form hinreichend Zeit hatte verwunden zu werden.
Auch Revolution kehrten mit der Baphomets Fluch Reihe nach dem zweiten Teil dem 2D Adventure zunächst den Rücken. Dennoch scheinen sich die bis heute veröffentlichten vier Sequels in ihrem Ton stets als Übungen der Reminiszenz zu verstehen, versuchen sie doch auf Gedeih (Teil 2 und 5) und Verderb (3 und 4) die melancholische Magie des ersten Teils zu re-aktualisieren. Auch der erste Teil selbst steckt indes in einem – ebenso teils fruchtbaren, teils furchtbaren – Wiederholungszwang fest. Zunächst wiederveröffentlicht als Broken Sword: Shadow of the Templars – The Director’s Cut, ergänzt um eine hanebüchene Vorgeschichte der zentralen Nichtspieler:innenfigur Nico und einige touchscreen-affine Verschieberätsel, und jüngst überarbeitet als Baphomets Fluch – Die Verschwörung der Tempelritter: Reforged. Diese Version ist selbst ein faszinierendes Stück des Erinnerung-Spielens, vor allem, wenn man gut mit dem Original vertraut ist. Die in hochauflösender Grafik der aus den Originalskizzen neuerstellten Hintergründe schaffen es zumeist, sich so anzufühlen, wie sich die Originalhintergründe mit etwas Abstand erinnern lassen. Georges Herbst, den er aus seiner unbestimmten Zukunft im Damals des Jahres 1996, am Ende des Jahrtausends, erinnerte, und der sich selbst wie ein Herbst anfühlte, der den Sommer erinnert, in dem noch die – wenn auch schwächelnden – Sonnenstrahlen spürbar sind, fühlt sich gleichsam präsent und fern an. War die Spielperspektive von Baphomets Fluch ’96 jene eines erinnerten Moments, der sich nach einem fernen Erinnert-Werden ausstreckt, scheint die Perspektive der Neubearbeitung dem sich erinnernden George viel näher, der im Hier und Jetzt sitzt und sich das zu vergegenwärtigen versucht, was vor knapp 30 Jahren sein Leben für immer verändert hat und selbst in unendlicher Wiederholung unveränderlich und schicksalshaft wurde. Aber um diesen Modus der Erinnerung ins Werk zu setzen, braucht es vielleicht wiederum seitens der Spieler:in die Erinnerung des Gespielt-Habens des ersten Teiles.
Die Originalgrafik des ‘96er-Releases, oder zumindest eine Reproduktion dieser Originalgrafik, liegt immer nur einen Tastendruck weit entfernt – ein Kniff, den seit der The Secret of Monkey Island: Special Edition (2009) viele Remakes von Point&Click-Adventures angewendet haben. Aber Baphomets Fluch schafft es, die überarbeitete Grafik nicht als zuschaltbares Extra auftreten zu lassen – gerade, weil sie mit ihrer stilistischen Originaltreue auf jene schwer greifbare Erfahrung des Erinnerns zielt, in der das ferne Vergangene so präsent erscheint, ‘als wäre es gestern gewesen’. Wo andere Adventure-Überarbeitungen hauptsächlich einen praktischen Weg boten, die Spiele umstandslos in einer mehr oder weniger getreuen Reproduktion der Originalgrafik spielen zu können, scheint die Originalgrafik in Baphomets Fluch vielmehr als Folie für die überarbeitete Grafik zu dienen. Als reality check, der verklärten Erinnerungen so oft zu fehlen scheint. Nicht, weil sie ‘schlechter’ ist, aber weil sie durchaus – so üppig sie auch sein mag – härter, weniger scharf, weniger gesättigt, weniger kontrastreich, gröber, weniger perspektivisch konsistent, aber auch texturierter, greifbarer und materiell evokativer ist, als die überarbeitete Optik sie erinnert. Auch die Gesichter sind in der neuen, scharfen und glatten Grafik weniger verhärmt und ausdrucksstark als im low-res Brutalismus2 des Originals. Alle tragen eine schlafwandlerische Genussmine umher, die laut und deutlich zu sagen scheint „this is fine.“



Eine Pause beenden? Was für eine interessante Vorstellung, Monsieur!
Diese neue Sorglosigkeit der hochauflösenden Comicoberfläche hilft dabei gerade im Kontrast eine Dunkelheit in vielen Charakteren aufblitzen zu lassen, die im Original noch in der Gesamtheit der heiteren Adventure-Heimeligkeit aufzugehen schien. Die prekär bei einem Klatschblatt beschäftigte Nico trauert um ihren verunglückten Vater und berichtet davon, wie sie Während ihres Kunststudiums gehungert hat – außer in dem Semester, in dem Drucktechniken behandelt wurden, da konnte sie die Kartoffeln essen. Der Polizist Rosso flüchtet sich in die Parapsychologie und schließlich in die Arme der Neo-Templer, sein Untergebener Sergant Moué redet zunächst eine Minute lang auf die halb unter Trümmern begrabene Leiche des ersten Opfers des Clownkillers ein, fordert den Toten auf, aufzuhören den Atem anzuhalten und stattdessen die Augen zu öffnen – seine Art „die Dinge von der Sonnenseite” zu betrachten. Ein alter Mann, in dessen Innenhof George im Zuge seiner Privatermittlungen eindringt, versucht unablässig von seinen Kriegserfahrungen in Nordafrika zu berichten – ob Bir Hakeim oder Algier bleibt offen. Ein amerikanischer Tourist, dem George in Syrien begegnet, scheint sich nach einem nicht näher benannten Vorfall für einen Geheimagenten zu halten und regelmäßig zu vergessen, wo genau er mit seiner Frau in den USA lebt. Ein Kanalarbeiter fühlt sich als Angehöriger der „arbeitenden Klasse“ von allen gekränkt und herabgewürdigt – nicht ganz zu Unrecht. Und ein Jongleur, der in einem Rätsel einen Kanaldeckel versperrt, lässt sich nur vertreiben, indem George sich vor seinen Zuschauer:innen blamiert. Der Schausteller kann es nämlich nicht ertragen, dass das Publikum auf Georges jämmerliche Jonglageversuche nicht mit Verachtung, sondern mit Belustigung reagiert.
Die Lebemänner und -frauen und Müßiggänger:innen des Spiels sind es indes, die mit sich im Reinen sind. Der junge Syrer Nejo, der während Georges Besuch in Marib den Marktstand seines Vaters bewacht, Kipling zitiert und einmal die größte Bälle-Sammlung der Welt aufbauen will, erlaubt es sich mit größter Selbstverständlichkeit, von Reichtum und Wohlstand zu träumen. Die alternde Lady Piermont, die im Foyer eines Nobelhotels den Flügel bespielt, flirtet schamlos mit dem jungen George und faltet mit all der Wucht ihrer matronenhaften Autorität das hochnäsige Personal zusammen. Ein Handwerker, der am Rande einer archäologischen Ausgrabung seine Gauloises raucht, verwundert sich amüsiert über die seltsame Idee, seine Pause jemals zu beenden. Und nicht zuletzt ist da der Streifenpolizist, der lieber im Straßenkaffee sitzt, „die Sonne, die Architektur“ und einen „durchschnittlichen Sauvignon genieß[t]“ und dem bereits genannten Jongleur dabei zusieht, wie er den Verkehr blockiert, als letzteren zu regeln: „Er ist amüsant. Der Verkehr nicht.“ Wo sich bei Habermas noch die „Privatleute, die produktive Arbeit tun“3 mit der scheidenden Aristokratie in den Kaffeehäusern des 18. Jahrhunderts tummeln und eine neue Form von Öffentlichkeit hervorbringen, findet sich hier der übersättigte Staatsdiener, der nichts Bewahrenswertes an den freudlosen Früchten dieser Produktivität findet und dennoch nicht verzweifelt.
Sicherlich ist es der proaktive George, dessen Privatermittlungen ihm schließlich Liebe, und der Welt die vermeintliche Erlösung bringen – aber es scheint doch so, als seien es die Tagträumer, Arbeitsverweigerer und Bummler, die ihr Glück schon gefunden haben und vom Spiel mit verdutzter Sympathie besehen werden.

Ein Spiel für den europäischen Herbst
Es ist faszinierend, wie ungebrochen Baphomets Fluch seine Bösewichte positioniert. Der schrullige Archäologe André, den George in einem Museum auf der Suche nach einem Templerartefakt trifft, kann sich da noch so sehr anstrengen, geradezu auf den Kopf stellen, um ein nüchtern-historisches Narrativ des Templerordens aufzurichten, in dem die Ritter von König Philipp IV. in einem machtpolitischen Schachzug festgenommen, gefoltert und hingerichtet wurden – das Spiel schafft alternative Fakten und hält eine vollwertige Weltverschwörung der Neo-Templer dagegen, die das im englischen titelgebende Broken Sword neu schmieden und damit die Macht zur letztgültigen Unterwerfung der Erde an sich reißen wollen. Wie genau all das von statten gehen soll, und was die Macht dieses Schwertes nun tatsächlich umfasst, dem scheinen die Templer jedoch selbst etwas ratlos gegenüberzustehen. In einer Höhle unter Paris stehen sie zur Mitte des Spiels zusammen – ein paar alternde Herren und eine Frau im schicken Business-Einteiler – und erstatten Bericht: „Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die Militärs ohne klares Feindbild, werden dafür aber selbst zur Zielscheibe für Etatkürzungen. Wir haben mit Erfolg versucht, in den oberen Rängen das Gefühl zu verbreiten, im Stich gelassen und betrogen worden zu sein. Dort herrscht jetzt die Meinung, die Politiker seien an der Ziellosigkeit schuld. Die Regierungen nehmen mehr Rücksicht auf die Konzerne als auf ihre eigenen Bürger. Eine Bodenströmung von Unzufriedenheit und Widerstand wird immer stärker. Die Konzerne werden zu groß und zu komplex, als dass ihre eigenen Manager sie steuern könnten. Blindes Vertrauen in die Kräfte des freien Marktes beschleunigt diesen Trend weltweit. Der Glaube der Weltbevölkerung an die Politiker, die sie regieren, war nie schwächer. Wir haben es geschafft, bei allen größeren Regierungen die Vorausschau und Planung durch Hektik und unüberlegten Aktionismus zu ersetzen. Die Parlamente handeln aufgrund übereilter Beschlüsse, die weder ausgeführt noch widerrufen werden können, ohne dass sie das Gesicht verlieren. Das Muster beginnt, sich zu formen. Unsere Zeit ist gekommen.“
Als Nico und George die Neo-Templer am Ende in einer Ruine in Schottland stellen, gerade noch rechtzeitig, um ihren Plan die hier zusammenlaufenden Kraftlinien anzuzapfen und ihre Energie zu kanalisieren, lässt die Erinnerung das Spiel doch noch im Stich. Im Original tritt der Anführer der Templer in seinem großen Moment zwischen die blau pulsierenden Pfeiler des unterirdischen Tempels – Blitze zucken und er windet sich zwischen Entsetzen und Schmerz und … dann passiert nichts. Auch im Moment ihres vorläufigen Triumphes – bis unsere Held:innen Minuten später das gesamte Gewölbe sprengen – erscheinen die Templer im Grunde plan- und hilf- und machtlos; ebenso Opfer der Umstände, die sie zu orchestrieren meinen. In der Reforged-Version jedoch wird ihr Anführer lachend von den Füßen gehoben; von schwirrenden Funken umflutet scheint Licht aus seinen Augen und als er anschließend spricht, spricht er mit donnernd erhabener Vielstimmigkeit. Hier, wie in allen Zwischensequenzen, ist die Funktion zurück auf den Stand von 1996 zu schalten, nicht verfügbar. Und so scheint das Spiel am Ende doch jede Vergangenheit zu vergessen, die noch zur Rückversicherung einer tröstlichen Wirklichkeit dienen könnte.
Jetzt, da in Europa die Blätter fallen und die Tage wieder kürzer werden, und einen dunklen, kalten und langen Winter ankündigen, scheint es genau die richtige Gelegenheit, um die letzten Tage in Straßenkaffees zu verbringen, solange es noch geht.
Dieser Text ist im September 2025 entstanden und ist Teil unserer Reihe Anfänge.
Bildquellen:
Alle Screenshots und Videos aus Baphomets Fluch – Die Verschwörung der Tempelritter: Reforged [Revolution Software Ltd, 2024].
- Grendel’s Sÿster: Katabasis into the Abaton / Abstieg in die Traumkammer [Independent/Cruz del Sur Music/Bandcamp, 2024]. ↩︎
- Angelehnt an den von Marc Bonner geprägten Begriff des low-poly-brutalism unter dem er eine spezifische Bildlichkeit früher 3D-Spiele fasst, die im Zusammenfall der technischen Gegebenheiten niedriger Polygonzahlen und der Darstellung auf Kathodenstrahlröhrenbildschirmen entsteht. „Dieser optische Effekt führt zu einer unruhigen und organisch erscheinenden Oberflächenbeschaffenheit“ (329) die Bonner wiederum an die Materialästhetik des Brutalismus rückbindet, in dessen „Spiel zwischen Material und Form“ (316) sich eine „Ruinenwerdung“ (Ebd.) Ausdruck verleiht. Bonner, M. (2023) Offene-Welt-Strukturen, Büchner-Verlag eG. ↩︎
- Habermas, J. (1962) Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Hermann Luchterhand Verlag GmbH, S. 48. ↩︎
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