Es ist Juni 1648 und März 2025. Irgendetwas stimmt hier ganz offensichtlich nicht – erst weigert sich die Crew des Segelschiffs, mit dem man den Atlantik überquert hat, überhaupt anzulegen, dann bemerken die beiden Protagonist:innen auf dem kleinen Ruderboot, mit dem sie an Land übersetzen, dass ihr Atem zu Dampfwolken in der klirrend kalten Luft kondensiert – obwohl es Juni ist. Beim Frühstück hat man im Radio gehört, dass Donald Trump mit weiteren Strafzöllen einen Handelskrieg vorantreibt und dass Studierende ohne US-Staatsbürgerschaft, die sich an politischen Protesten beteiligt haben, auf offener Straße von Agenten in Zivil verhaftet und verschleppt werden.

Man spielt Antea Duarte und Red mac Raith, zwei Banisher und ein Liebespaar, die auf Einladung eines Freundes in die Neue Welt nach New Eden an der amerikanischen Ostküste gesegelt sind. Banisher sind spiritistische Handwerker:innen, die – ohne den sakralen Überbau von Exorzisten oder Okkultisten – rastlosen oder rachsüchtigen Seelen kürzlich Verstorbener endgültig ins Jenseits verhelfen. „life to the living and death to the dead.“
An Land wartet eine Geisterstadt auf die beiden. Nur im Gasthaus sind der Stadtvorsteher und zwei Milizionär:innen anzutreffen. Sie überbringen schlechte Nachrichten: Der Freund, der sie in die Neue Welt gelockt hat und Priester der kleinen Gemeinde war, ist verstorben. Seine Witwe weigert sich, ihr Haus zu verlassen. Der Ort ist verflucht: Eisige Kälte lässt ihn erstarren, und alles Essbare verdirbt innerhalb weniger Stunden.

Abwechselnd steuert man die beiden Protagonist:innen, die das Haus der Witwe aufsuchen, ihr Beileid bekunden und nach Hinweisen auf den Tod des Freundes suchen. Im Detektivmodus durchstreift man das Haus und nimmt Gegenstände in die Hand, die von der Abwesenheit eines geliebten Menschen und seiner Suche nach dem Ursprung des Fluchs zeugen – von Schlafstörungen und Albträumen der Gemeinde. Ein Nachtmahr hat sich in der Kirche auf der Hügelspitze mitten im Dorf niedergelassen und terrorisiert New Eden. Ein Großteil der Ortsbewohner:innen wurde bereits aus dem neuen Paradies vertrieben, und nur wenige einsame Gestalten harren noch in dem Ort aus, der einst für die Hoffnung auf ein besseres Leben stand.
Die Open-World-Schnitzeljagd führt einen auf den Friedhof, wo der Freund ums Leben gekommen ist. Er hatte den übermächtigen Nachtmahr beschworen, um ihn ins Jenseits zu verbannen – doch die Kreatur ließ mit einem bloßen Fingerzeig sein Herz stillstehen. Als Verkörperung kollektiver Schuld unbekannten Ursprungs war der redliche Priester nicht mehr als ein Spielzeug für die Zerstörungswut der Kreatur. Doch die Liebe zu seiner Frau bindet seinen Geist an den trostlosen Friedhof. Das Nicht-Loslassen-Können kostet Kraft – Kraft, die der Geist den Lebenden entzieht. Die Banisher lassen die beiden sich ein letztes Mal verabschieden, bevor sie den alten Freund endgültig ins Jenseits befördern.
Mittlerweile ist die Nacht hereingebrochen. Die beiden Banisher schmiegen sich in ihrer notdürftigen Unterkunft in der ehemaligen Schule aneinander. Schnell fallen ihnen die Augen zu, doch auch sie werden von Albträumen heimgesucht. Mit Red mac Raith erwacht man erschrocken aus einem dieser Träume – nur um festzustellen, dass Antea verschwunden ist. Man folgt ihr in die verrammelte Kirche, wo der Nachtmahr den beiden eine Falle gestellt hat. Es gibt kein Entkommen. Antea Duarte wird getötet, Red mac Raith durch ein Fenster in die eiskalte See geworfen. Mit ihm sinken wir langsam in den Abgrund, und in der Schwärze der Tiefe erscheint der Titel des Spiels: Banishers: Ghosts of New Eden.
So steht der Tod in der verfluchten Neuen Welt am Anfang des Spiels und setzt den Ton für die kommenden 20–30 Spielstunden. Ganz tot ist man allerdings noch nicht: Red wird von einer mysteriösen Hexengehilfin aus der See gefischt und gesundgepflegt. Schon bald begegnet er erst der Stimme und dann der geisterhaften Gestalt von Antea, die nun selbst im Limbo zwischen Leben und Tod gefangen ist. Von nun an spielt man das vereinte Banisher-Duo gemeinsam – auf Knopfdruck kann man zwischen Reds physischer Schlagkraft und Anteas Geisterhieben wechseln, um unterschiedlichen dämonischen Kreaturen den Garaus zu machen – das Paar ist zu einem hybriden Körper verschmolzen.
Antea kann die Welt nicht verlassen, solange der Nachtmahr noch sein Unwesen treibt. Die Quest ist gesetzt, aber das Paar steht vor einer schweren Entscheidung: Findet man sich mit der Trennung durch den Tod ab und sucht lediglich einen versöhnlichen Abschied – oder wagt man eine Wiederbelebung, die jedoch die Lebensenergie zahlreicher Menschen erfordern würde?
Auf ihrer Reise zurück zum Nachtmahr begegnen sie den Vertriebenen von New Eden, die versuchen, aus dem Tal zu entkommen. Schnell lernen sie, dass alle Überlebenden Menschenleben auf dem Gewissen haben und von Geistern heimgesucht werden. Als Banisher ist man Richter:in, Henker:in und Exorzist:in in einem. Man rekonstruiert die Todesfälle und steht zuletzt vor der Entscheidung: eine der lebenden Personen beschuldigen und hinrichten – oder den Geist ins Jenseits aufsteigen bzw. in die Unterwelt fahren lassen?
Das eigene Leid und der Schwanengesang auf die verlorene Liebe werden so immer wieder durch True-Crime-Episoden durchbrochen: Mord im Affekt durch einen Verhungernden, der nun vor Schuldgefühlen in den Wahn geflüchtet ist; Notwehr gegen nicht enden wollende häusliche Gewalt; das strategische Opfer der Schwachen, um das Überleben der Starken zu sichern. Schon vor dem Nachtmahr war New Eden nicht nur geografisch am Rand der Zivilisation, sondern ein Ort voller Mord und Leid. Man lernt, dass die indigenen Stämme das Tal schon immer fürchteten und mieden – die Trennwand zwischen Diesseits und Jenseits ist hier besonders dünn.
So durchstreift man als dem Tod geweihtes europäisch-kubanisches Liebespaar diese Neue Welt, in der mit Grausamkeit um das nackte Überleben gekämpft wird. Man richtet über Sünder:innen und muss entscheiden: die Grenze zwischen Leben und Tod respektieren oder durch Transgression die geliebte Person zurückholen? Die Mission ist es, diese Hölle auf Erden zu befrieden, ihre Ausbreitung zu verhindern und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu (er-)tragen. Dabei ist man eingesperrt in die Weite dieses verfluchten Landes, das einst einen Neuanfang nach der Korruption des alten Kontinents versprach. Doch zu Beginn von Banishers im März 2025 wirkt es nicht so, als sei diesem Land noch zu helfen. Vielmehr geht es darum, sich selbst nicht zu verlieren – sich nicht in einem Strudel aus Trauer und Wut auf Kosten anderer zu verlieren.
Stattdessen geht es in der Welt des Spiels darum, eine unendliche Serie tödlicher Verbrechen zu bezeugen und die letzte verbliebene kosmische Ordnung zu wahren: life to the living and death to the dead. Hoffnung gibt es vielleicht nicht – Linderung aber in der Bindung zur geliebten Person, die diese Grenze zumindest für einen Moment bedeutungslos erscheinen lässt.
Diese grenzüberschreitende Liebe findet sich sinnbildlich immer wieder in den Rast-Sequenzen des Spiels. Erreicht man ein Lagerfeuer an einem geschützten Ort, so bietet das Spiel die Möglichkeit sich auszuruhen: In kurzen Zwischensequenzen sieht man wie Red und Antea sich aneinandergeschmiegt neben das Feuer legen. Red schläft ein und die Sequenz wechselt in einen Zeitraffer: Während Red nahezu bewegungslos auf dem Boden liegenbleit, sieht man in einem langsamen Kameraschwenk um das Paar, wie Antea aufsteht, auf- und ab wandert, über Red wacht, grübelt, Selbstgespräche führt. Schließlich erwacht Red wieder und die Sequenz verlässt den Zeitraffermodus. Die schlaflose Existenz der Untoten wird als Geste der zärtlichen Fürsorge einer rastlosen Seele inszeniert und der Schlaf des Lebendigen als Sich-Anvertrauen. Auch wenn die Welt aus den Fugen gerät und das schlimmste (?) – der Tod – bereits eingetreten ist, so bietet doch die wärmende Intimität der Liebenden einen Gegenpol zur klirrenden Kälte der Neuen Welt und ihren Schuldspiralen.
Dieser Text ist Teil unserer Reihe Anfänge.
Bildquelle:
Alle Screenshots aus Banishers: Ghosts of New Eden [Don’t Nod, 2024].
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