Wenige Tutorials in Videospielen sind wirklich gelungen. Allzu viele Spiele verlangen zuerst Einiges an Geduld, bevor sie ihre Spieler:innen von der Hand lassen. Die Kritik an dieser „Tutorialisierung“, die seit einiger Zeit um sich greift, ist selbst schon nicht mehr neu. Und in der Nostalgie für das goldene Früher, die Zeit vor dem Tutorial, als man noch richtige Handbücher lesen musste und von Spielen ordentlich überfordert wurde, wenn man es nicht tat, liegt auch nur eine mäßig überzeugende Reaktion auf diese Veränderung der Spielkultur. 

Spieler:innen lesen keine Handbücher (mehr) und Spiele haben scheinbar riesige Angst davor, wertvolle Minuten Spielzeit und Produktbindung zu verlieren. Spieler:innen dürfen nicht gleich wieder aufgeben. Die stundenlangen Tutorial-Passagen werden dabei auf ihre Art selbst Teil des Problems: Sie geben mir das Gefühl, nicht wirklich ans Spielen gelassen zu werden. So als würden sie mir nicht vertrauen, dass ich auch tatsächlich bereit dafür bin, eigene Entscheidungen und Handlungen in einem Spiel auszuführen. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, die Hoffnung machen. Ein Spiel wie Hitman lässt eine fast verlorene Tradition des Tutorials wieder aufleben: das ausdrückliche und organisch in der Welt des Spiels integrierte Tutorial-Level. Es lebe die Spanplatte, mit der hier ein Proberaum geschaffen wird, in dem ich mich zunächst einmal innerhalb des Spiels ebenso bewähren muss wie mit dem Controller in der Hand vor dem Bildschirm. 

Screenshot aus HITMAN: Von schräg oben ist eine aus Spanplatten gebaute Yacht zu sehen, im Hintergrund einige Vorhänge, die einen künstlichen Sonnenuntergang andeuten.
Abb. 1: Das Tutorial als Proberaum.

Die Spanplatte wird zum Prinzip dieses ersten Levels: Als Agent 47 spiele ich in der jüngsten Hitman-Trilogie (2016–2021) einen erbarmungslosen Auftragsmörder, dessen Arbeit von einer solcher Perfektion ist, dass selbst die nebulöse Organisation, für die ich arbeite, zu Spielbeginn eine gesunde Angst vor meinen Fähigkeiten zu haben scheint. Dennoch, es hilft ja nichts: Ich muss lernen, wie ich laufe, wie ich mich umschaue, wie ich Gegenstände benutze. Das Problem unzähliger Spiele besteht auch hier darin, noch die übermenschlichsten Figuren in die Hände absoluter Stümper zu geben, deren tastendes Umhergestreife einer gründlichen Einführung in die Belegungen von Controllern und die Handlungsräume einer Welt bedarf. Genau dieser Prozess des Laufen-Lernens mit den speziellen Körpern von Videospiel-Figuren fällt in den gelingendsten Tutorial-Leveln mit dem Laufen-Lernen oder Laufen-Üben ebenjener Körper zusammen.  

In Hitman ist es auch Agent 47, der nach einer Weile der Inaktivität zurückkehrt in seinen Job, oder vielmehr seine Bestimmung: Menschen so elegant, so katzenhaft, so kreativ wie möglich unentdeckt umzubringen. Die Geheimorganisation, für die ich arbeite, hat für diese Rückkehr in den Dienst eine Bewährungsprobe angesetzt – gewissermaßen eine etwas bündigere Form des mehr als ausgereizten Amnesie-Einstiegs für Figuren, die leider, leider alle Fähigkeiten und Kenntnisse verloren haben und sich nur deswegen genauso blöd anstellen wie ich. In einer Art kreisrundem Raketensilo, an dessen Rändern ich weit oben in der Höhe ein wenig Himmel erkennen kann, wurde das buchstäbliche Modell einer Mission vorbereitet (Abb. 1). Eine unverhohlen aus Sperrholz zusammengezimmerte Yacht voller Statisten, die eine Party spielen, wartet an einem Anlieger, dessen Wasseroberfläche aus dicken, blauen Sportmatten besteht (für den Fall, dass ich etwa auf die Idee komme, einen der Statisten über Bord zu werfen; Abb. 2). 

Screenshot aus HITMAN: Agent 47 hangelt an der Seitenwand einer aus Spanplatten gebauten Yacht, auf dem Boden liegen dicke Sportmattten.
Abb. 2: Spanplatten-Yacht und Sportmatten-Wasser.

Auf meinem Ohr höre ich die Stimme meiner Handlerin, die mich Schritt für Schritt entlang der Optionen begleitet, die dieser Spielplatz mir bietet: Verkleidung als Mechaniker, um auf das Schiff zu kommen, auf dem Schiff einen unbeobachteten Koch mit einem Schraubenschlüssel ausschalten, um an eine Crew-Uniform zu kommen, dann auf das Oberdeck, unter den Partygästen der Zielperson, Kalvin Ritter, folgen und ein privates Meeting mit einem dubiosen Geschäftspartner belauschen. Dort kann Ritter unbemerkt von hinten erwürgt werden. Ich stehle mich aus dem Fenster, spaziere gemütlich die Gangway hinab auf den Anlieger und bin weg, bevor jemand überhaupt bemerkt, was passiert ist. So einfach, so elegant. 

Nach diesem geführten Durchgang bleibt mir das Yacht-Modell aber erhalten und ich kann jederzeit dorthin zurückkehren und die zahlreichen anderen Wege in diesem Level erkunden – Ritter vergiften, ihn bei einem ‘Unfall’ sterben lassen und noch einige mehr. Durch das Community-basierte Missionssystem von Hitman habe ich sogar noch die Möglichkeit, in immer neuen Anordnungen andere Zielpersonen auf der Yachtparty mit bestimmten Waffen und in bestimmten Verkleidungen auszuschalten.

Was ist diese Yacht also? Und warum ist sie so eindeutig, fast aufdringlich aus Spanplatten gebaut? Warum sieht man diesem Level, anders gesagt, an, dass es sich um eine Übung handelt – wenn es doch unter den technischen Bedingungen einer Videospiel-Engine überhaupt keinen Unterschied machen würde, ob nun die Kulisse eines kleinen Yachthafens und die Materialität und Haptik einer Motoryacht künstlerisch entworfen werden oder das Rund eines Raketensilos mit den Spanplatten, Sportmatten und sogar noch einer etwas halbherzig an die äußere Betonwand gemalten Andeutung eines Sonnenuntergangs. Die Textur auf dem Modell bleibt schließlich technisch eben das: ein Entwurf, dem es recht egal ist, ob er die Faserung einer Holzoberfläche und die Materialität einer Sportmatte oder die Oberflächen und Stoffe einer ‘echteren’ Yacht zum Ausdruck bringt. 

Das Tutorial wird bei Hitman aber Teil der Weltkonstruktion: Am gemalten Sonnenuntergang und an den abgestellten Malergerüsten sehe ich eine Arbeit, die hier verrichtet wurde, um mir meine Arbeit zu ermöglichen (Abb. 3). Nämlich als hauptberuflicher Auftragsmörder in dem professionalisierten Setting einer Geheimorganisation das Töten zu lernen (oder wieder zu lernen oder zu beweisen, dass ich es nie verlernt habe). Dieser Ort, in diesem abgelegenen Silo, die Statisten, die Spuren der Gemachtheit dieser Kulisse zeugt von einem Arbeitsplatz. Ich kann an den Spanplatten noch ablesen, dass hier Arbeiter vor Ort waren, die mal sorgfältig und gerade, mal ganz bündig und halbherzig, so etwas ähnliches wie eine Yacht zusammengeschraubt haben. Ein bisschen Farbe hier und da – aber für eine ernsthafte Illusion hat es nicht gereicht. Gut genug muss es nur sein. 

Screenshot aus HITMAN: Agent 47 kniet auf einem Deck der Yacht-Kulisse, im Hintergrund ist ein Malergerüst und ein Serverschrank zu sehen, orange Stoffbahnen deuten einen Sonnenuntergang an. In einer Lücke ist dahinter eine grobe Betonwand sichtbar.
Abb. 3: Die Kulisse – gut genug.

Die Eleganz dieses Levels liegt genau in dieser sorgfältigen Konstruktion. Denkbar wären auch völlig leere Gitterräume ohne Texturen, und ökonomisch sicher weniger aufwändig, wenn es nur darum ginge, ganz mechanisch ein spielbares Handbuch zu entwerfen, das mir die nötigsten Handlungsoptionen nahelegt. Entscheidend aber ist an diesem Tutorial, dass es sich um einen Ort in der Welt handelt, der genau diese Brücke zwischen einer harten spielmechanischen Einführung und einer komplizierten, stundenlang in die Erzählung integrierten persönlichen Betreuung schlägt. 

Dieser Ort kann aufgesucht werden, er existiert so sehr wie der elegante Anzug von Agent 47, seine markante Glatze und die bald einsetzenden Verstrickungen rund um den Globus. Aber dieser Ort ist zugleich überdeutlich im Silo umgrenzt und nicht ausufernder Teil der Welt, bei dem ich mitunter auch nach Stunden noch nicht weiß, ob ich nun von der Leine bin und eigenständig gehen darf, oder ob jeden Moment doch noch ein Menü pausiert wird und mich zwanghaft durch Schaltflächen leitet, ob kaum lesbare Textboxen über dem Bild einer Welt erscheinen, die von diesen Boxen völlig unbetroffen wirkt, nur um mir noch eine Crafting-, noch eine Sammel-, noch eine Fortbewegungsmöglichkeit kleinteilig zu erläutern. 

Hitman erinnert dabei an die Tradition herausragender Tutorial-Levels, die etwa mit der berühmten Villa aus Tomb Raider zu einem frühen Höhepunkt kam: Auf ihrem stattlichen Anwesen trainiert die adlige Archäologin –- oder was dafür seit Indiana Jones gehalten wird – die grundlegenden Sprung- und Klettermanöver. Begleitet vom grummelnden Butler, den wohl Generationen von Spieler:innen in die Kühlkammer des Herrenhauses gesperrt haben. Hitman knüpft in der eleganten Schlichtheit seiner Spanplatten an diese Idee der Einführung an: Es gibt einen guten Grund, warum ich hier bin, und es gibt einen guten Grund, warum ich hier einige der einfachsten Handlungen, die ich nun einmal ausführen in der Lage bin, erprobe. 

Ganz nebenbei erfahre ich noch etwas über meine Figur und die Situation, in der ich mich in dieser oder jener Welt befinde, so rudimentär das als Einführung auch sein mag. So verrät eine gewisse Leichtigkeit des sportlichen Trainings in Laras luxuriösem Anwesen auch etwas über die Frage, woher diese Grabräuberin eigentlich ihre scheinbar unbegrenzten Ressourcen hat. Und auch ein übergreifendes Gefühl für die Leichtigkeit, mit der noch die hinderlichsten Situationen von dieser Figur elegant überstanden werden, mag mit dem Leben als britische Aristokraten zumindest in Grundzügen eine Verbindung eingehen. Überhaupt scheint es wenig verwunderlich, dass beide Spiele, die hier in den Sinn kommen, von einer jeweils eigenen Eleganz geprägt sind, die sich in der Eleganz ihrer nahtlos gefügten Tutorial-Levels gespiegelt findet. 

So leichtfüßig und athletisch Lara Croft jede noch so komplizierte Felsformation überklettert, die dabei zum Turngerät wird, so sehr ist die mechanische Eleganz einer mit besonders minimalem Aufwand erzielten Wirkung im Zahnradsystem der Hitman-Missionen bereits vorgeprägt in den Statisten und Bodenmatten, die ihre reine Funktionalität in einem solchen Missionssystem ausstellen. Dass besonders mit einer speziellen Eleganz ihrer Figuren arbeitende Spiele auch besonders elegante Lösungen für das Tutorial-Problem bieten, ist vielleicht eben kein Zufall. 

Dies ist der erste Beitrag in einer Serie zu Tutorials und Teil unserer Reihe Anfänge.


Bildquelle:

Alle Screenshots aus Hitman [IO Interactive, 2016].


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